FilmMaterialien 10 - Der komische Kintopp.

Curt Bois - Komiker

Thomas Brandlmeier

aus: CineGraph - Lexikon zum deutschsprachigen Film, Lg. 5. München: edition text + kritik, 1986


Curt Bois' Komikerkarriere beginnt als sechsjähriger Kinderstar sogleich multimedial: Als Heinerle in Leo Falls Operette "Der fidele Bauer" (1908) wird er gleichzeitig mit der Bühnenpremiere als Tonbild im Kino und auf einer Serie Fotopostkarten vermarktet. Seine Auftritte in den Filmen MUTTERLIEBE (1909) und DES PFARRERS TÖCHTERLEIN (1912) sind zwar keine komische Rollen, aber sie verraten bereits sein ganzes komisches Talent. Wie er mit der Kamera kokettiert, wie er immer etwas zuviel macht, zu schnell agiert, mit den Armen wie mit den Beinen voraus ist, das ist Groteske; ein Kinderstar und ein Korkenzieher.

1919 engagiert ihn Ernst Lubitsch für
DIE AUSTERNPRINZESSIN. In diesem Film wirkt er fast wie ein Double von Lubitsch: als exzentrischer Kapellmeister verwandelt er ein Soiree in ein zappelndes, Foxtrott tanzendes Tollhaus. Mit Lubitsch verbindet ihn auch der Sinn für die Macht des äußeren Scheins; Rollen im Konfektions-Milieu gehören auch zu Bois' besonderer Stärke: DER JÜNGLING AUS DER KONFEKTION (1926), DER FÜRST VON PAPPENHEIM (1927).

Curt Bois ist ein Kind der deutschen 20er Jahre. "Er drückt das Heute aus, weil er von Gestern und Vorgestern überhaupt gar nichts weiß. Diese verworrene, zerrissene, auf den Kopf gestellte, anormale Zeit ist seine Zeit", schreibt Paul Cohen-Portheim 1925 und vergleicht ihn mit einem Kind: "Er macht furchtbar gerne wirklich Erwachsene nach, weil diese in ihrem Ernst so überaus komisch sind." Erich Kästner sieht in ihm eine deutsche Variante von Harold Lloyd: "Er ist der Harold Lloyd des Jahrgangs 1901, der zwanzig war, als die Inflation kam ... Er hat ihre von der Zeit ererbten Frechheiten und eine Elastizität, die auf jeden Börsenkrach und auf jede Revolution zu jeder Minute gefaßt ist, um Widerstand zu leisten. Er hat ihre Ängstlichkeit, ihre Hast, ihre Unsentimentalität, ihre Geschäftstüchtigkeit."

Neben Julius Falkenstein, Hans Junkermann, Hermann Thimig und Ossi Oswalda ist Curt Bois sicher einer der wichtigsten Vertreter einer spezifisch deutschen Variante des Slapstick. Ein Höhepunkt dessen - und Endpunkt zugleich - ist seine Rolle in DER FÜRST VON PAPPENHEIM (Richard Eichberg). Mitten in einer Gesellschaftskomödie der Neuen Sachlichkeit, zwischen großen steifen Herren und stattlichen Damen, die alle vom Boulevard-Theater zu kommen scheinen, ein quirliger Tausendsassa. Ein kleiner Mann, der überleben will, der ein Naturell hat, das man als Mischung aus Chaplin und Lloyd bezeichnen könnte, der aber wendiger sein muß als beide zusammen. Curt Bois, der Egon Fürst von der Firma Pappenheim, hat alle Fäden in der Hand, an denen die hohen Herren und Adeligen zappeln. Er hat sie deshalb in der Hand, weil er jedesmal, wenn es einen Knoten gibt, schneller schaltet als alle anderen. Nur der Sprung von einem Extrem ins andere kann ihn retten. Mal ist er tot, mal ist er ein verführerisches Mannequin, das sogar Chaplins Travestie in
A WOMAN in den Schatten stellt.

Den Abstieg der deutschen Filmgroteske - deren Ende nicht zufällig mit der Machtergreifung der Nazis zusammenfällt - kann man auch an Bois' späteren Rollen ablesen. 1932 agiert er neben Dolly Haas in
EIN STEINREICHER MANN (Stefan Szekely). Bois und Haas sind spaßig, aber nie durchgedreht - angeheitert, nie besoffen. Im Grunde ist der Film eine Angestelltenkomödie der Krisenzeit: die Reichen versuchen, ihre Notjuwelen zu retten, Curt und Dolly, die kleinen Leute, schlagen dabei ihr kleines Glück heraus. Und ein Hauch von Groteske: zwei, drei kleine Auftritte, die Bois ganz allein gestaltet hat. Einmal, sehr schön, winkt er vom Balkon einer Menge zu, wie es damals so mancher tat, rutscht dann aber mitten in der großen Pose von der Brüstung ab.

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