FilmMaterialien 6 - Paul Dessau.

Versuch, etwas über Filmmusik zu sagen

Von Paul Dessau

in: Film-Kurier, Nr. 13, 14.1.1929


Es ist mehr als schwierig, über etwas zu schreiben, was noch gar nicht vorhanden ist, und was nur in ganz wenigen Köpfen als bisher unerreichtes Ideal fluktuiert.

Viel wurde geschrieben, viel disputiert. Bisher fehlt leider die Verwirklichung aller Anstrebungen, besonders deswegen, weil man sich im Grunde über Prinzipielles nicht klar ist.

Unsere heutige Filmmusik ist im allgemeinen illustrativer Natur. Werden wir uns erst einmal über den Begriff Illustration klar. Bis vor kurzem hat man ihn dahin mißverstanden, daß man ihm eine übertriebene Ausdeutung unterschob, indem man glaubte, jedes Detail des Bildes musikalisch illustrieren zu müssen. Man verlor sich in Kleinmalerei, suchte »Titel« in musikalische Werke umzusetzen, und es hätte nicht viel gefehlt, daß man den alles bezwingenden Schlagzeugwerkmeister zum »Beherrscher aller Geister« machte. Vor etwa 40 Jahren beherrschte diese Technik die Oper, das heißt nicht die »Oper«, sondern das Musikdrama, das Richard Wagner schuf. Das Leitmotiv ist tot. Das Musikdrama überwunden, selbst von einem ganz auf Wagner aufbauenden Geist, wie Richard Strauss.

Vorbilder unserer heutigen Generation sind Bach und Händel geworden, und wir gehen den Weg zu absoluter Musik.

Ziehe ich im folgenden einen Vergleich zwischen der Filmmusik und der Musik zu einem Bühnenwerk, so möchte ich damit keinesfalls sagen, daß die Filmmusik der Zukunft abhängig zu sein braucht von irgendeiner Gattung Musik überhaupt. Im Gegenteil. Solange dieser Wunsch jedoch Ideal bleibt, müssen wir uns so gut es geht mit Assoziationen zu helfen suchen, keineswegs aber mit denjenigen zum Musikdrama, sondern allein an die alte gute »Oper« haben wir uns zu halten. Verdi noch mehr als Mozart, geben unschätzbare Aufschlüsse für unsern Weg.

Dem Schöpfer einer Film-Begleitmusik ist der Bildstreifen dasselbe wie dem Opernkomponisten sein Textbuch. Beide müssen in gleicher Weise aus dem noch starren Material Leben gewinnen, das heißt, das Gefühl für die Form schöpferisch erkennen. Ein Film ohne Musik ist genauso unvollkommen und unwirksam wie ein Operntext ohne Musik.

Uns kommt es dabei ebensowenig wie bei der Oper darauf an, jede Figur, jeden Auftritt, kurz das Detail in Musik zu zersetzen, sondern das Erfassen der Atmosphäre, die Erkenntnis des Wesentlichen und seiner Gestaltung sind einzig anstrebenswert.

Und es ist nicht nur künstlerisch gerechtfertigt, sondern auch in seiner Wirkung unfehlbar, wenn man beispielsweise bei einer Szene im Caféhaus, in dem gerade die Kapelle einen Walzer spielt, diesen bei seiner Illustration unbeachtet läßt, und den laufenden Faden der Handlung über genanntes Bild hinaus weiterspinnt.

So gewinnt man selbst bei antimusikalischen Filmen durch die in der Musik gewahrte Form eine kunstgerechte Einheit.

Auf diese Weise ist die Musik in der glücklichen Lage, das Nicht-Sichtbare ausdrücken zu können, im Gegenteil dazu es immer zu verwerfen ist, wenn das Visuelle durch das Akustische ein Übergewicht erhält.

Jedoch bei aller Wichtigkeit der berührten Punkte ist keiner wohl so beachtenswert, als der die Interpretation eines jeweiligen Musikstückes betreffende. Man bedenke gut, daß eine falsche Note störender sein kann, als ein deplaciertes Musikstück. Und keines ist so minderwertig, daß man es nicht adeln könnte.

Das Endziel unserer Anstrebungen wird in der Originalkomposition eines Films zu finden sein. Doch wird es selbst dabei noch genügend Fälle geben, bei denen nicht mehr, ja oft weniger erreicht wird, wie bei einer vorbildlichen Musikillustration.

Der Hauptgrund für das Mißlingen liegt allein daran, daß sich uns in seltensten Fällen Autor, Regisseur und Komponist zu gemeinsamer Arbeit finden. Es ist ein unverantwortliches, höchst bedauerliches Merkmal, daß maßgebende Leute sich bis heute noch nicht an Künstler wie Paul Hindemith und Kurt Weill (um nur zwei »Namen« zu nennen) gewandt haben, die darauf brennen, einen Film zu komponieren. Ich denke immer an einen Buster-Keaton-Film mit Hindemithscher Musik. Wäre das nicht köstlich! Glaubt man denn im Ernst daran, daß die große Masse nur zufrieden ist, wenn sie Caféhaus-Schmalz und Varieté-Elan vorgesetzt bekommt! Dafür ist doch die Filmmusik nicht da.

Und ebenso wie jede andere Kunstgattung hat sie die große Aufgabe, an der kulturellen Entwicklung der Menschheit mitzuwirken.


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