FilmMaterialien 6 - Paul Dessau.
Über Tonfilm
Von Paul Dessau
in: Der Film, Nr. 15, 1.8.1929
Nichts kann mich hindern, das Problem des Tonfilms mit der notwendigen Vorsicht kritisch zu betrachten. Zunächst muß ich gestehen, daß mir die Begeisterung des deutschen Publikums über die amerikanischen sogenannten Tonfilme einigermaßen rätselhaft ist. Im Gedenken an die Kulturtraditionen deutscher Kunst fasse ich diesen Enthusiasmus als Wirkung des Reizes der Neuheit auf, sonst könnte ich mir nicht erklären, warum so viele Menschen der verschiedensten Bildungsgrade sich von dem amerikanischen Kitsch überzeugen ließen.
Weiter: ein Film, in dem streckenweise »getont« wird, ist noch kein Tonfilm. Wenn der wirkliche Tonfilm, abgesehen von seinen wirtschafltichen Interessen, auch künstlerische Erfolge haben soll, so ist das meines Erachtens nur unter zwei Bedingungen möglich: zunächst einmal müßte sich der richtige Mann finden, der gewissermaßen Führer einer Tonfilmschule im besten Sinne werden könnte und helfen, der neuen Kunstart Inhalt und Form zu geben. Sodann wäre es notwendig, die Darbietung amerikanischer Tonfilme etwas abzustoppen, damit die einheimische Produktion einmal richtig zu Worte kommt, damit wahrhaft künstlerische Regisseure, Sänger, Schauspieler und vor allem Musiker gemeinsam an dem schwierigen Werke mitarbeiten können. Das Heil des Tonfilms kommt, wenn überhaupt, dann aus Deutschland, und diese Erkenntnis bedeutet nicht etwa Chauvinismus, sondern das Wissen um die Tatsache, daß wir mit unseren starken künstlerischen Potenzen einer Talmikunst wie der in den U.S.A. ausgeübten, nicht sehenden Auges verfallen dürften.
Solange freilich die im 20. Jahrhundert erkämpften Errungenschaften des stummen Films auf Kosten minderwertig kondensierten Musikmachens zu Grabe getragen werden, kann ich den Tonfilm lediglich als eine erstaunliche Erfindung der Technik bewundern.
Wichtig halte ich es noch, zu betonen, daß lebendige Musik meiner Meinung nach durch keine noch so vollendete Erfindung der Welt wird abgeschafft werden können. In dieser Hinsicht mag der Tonfilm eine Sonderstellung einnehmen, die aber in keiner Weise für das Problem der Mechanisierung der Musik ausschlaggebend bleibt. Der künstlerisch produzierende (oder reproduzierende) Mensch ist durch die Maschine nicht zu ersetzen; dies sich klar zu machen, wird trotz der größten Erfolge des Tonfilms notwendig sein.
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