FilmMaterialien 6 - Paul Dessau.
Der verzauberte Wald
(Starewitch und Paul Dessau)
Von Ernst Jäger
in: Film-Kurier, Nr. 215, 8.9.1928
Da haben Sie den Vorgeschmack einer kommenden Ära des Lichtspielhauses: Licht-Schatten-Märchen und Musikspiel in einem. Starewitch, der Filmpuppenspieler, und Paul Dessau, der ehrgeizigste Schöpfer unter Berlins jungen Musikern. Beide spendeten ein künstlerisches Viertelstündchen wie es Berlin – nicht nur im Kino – seit langem nicht zu bieten vermochte. Solch' ein Ereignis gehört in die Filmgeschichte und in die Musikentwicklung zugleich. Musikanten der neuen Zeit – habet acht!
Da macht einer Ernst im Lichtspielhaus. (Paul Dessau.)
Noch sind Filmteil und Musik getrennt. Noch muß der Musikant post festum, nach dem fertigen Film »illustrieren«. Und die deutsche Fassung von Starewitchs Puppenspiel verrät nicht letzte musikalische Nachgiebigkeit.
Aber doch sind zwei Meister ihrer Form am Werk und gegen die Originalität des Film-Puppenspiels stellt der Musiker seine Originalität, einfühlend zwar, mit der leicht markierten Bindung an Geste und Thema des Bildvorgangs, aber mit einer von aller »Programm-Musik« weit entfernten musikalischen Selbständigkeit.
Die Musik behandelt hier den Film als Libretto, und doch ist der Film eine so starke Einheit, daß er die Musik zur Illustration herabzwingen will. Ein sehr reizvolles Für und Gegeneinander, das der Film- und Musiktheoretiker da feststellen wird.
Und das Publikum lauscht erstaunt. Und schaut beglückt.
Der filmische Teil gehört zu den zarten Bilddichtungen, die der herrliche Starewitch vor unseren Augen spielen läßt. Der naive Zuschauer wird ebenso wie der verwöhnte Ästhet beglückt sein.
Symbol und Parodie wohnen in diesem Film dicht beieinander. Der Maler, der Bildformer Starewitch feiert Triumphe mit Stoff, Farbe und der Plastik seiner gestaltenden Phantasie. Wieder eine Tat eines Avantgardisten.
Die Musik folgt dem gleichen Stil, es gelingt Dessau, zarte Lyrik mit kecker Parodie zu vereinen.
Dabei hält er sich bei jedem Takt in der Sphäre des Märchens.
Die grazile Mischung des Lyrischen mit der ironischen Glossierung bringt reizende Motiveinfälle, die sich dabei nie verzetteln. Für die einzelnen Phasen der Komposition findet er trotz der Prägnanz und Einheitlichkeit seines kammerorchestralen Ausdrucks eine überraschende Nuancenfülle.
Als Instrumentator hat Dessau seinen Strawinsky gut im Kopf.
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