FilmMaterialien 7 - Heinz Pehlke.
Herrscher über Licht und Schatten
Zur Fotografie in Pehlkes Spielfilmen
Von Wolfgang Fischer
Will man die Kameraarbeit von Heinz Pehlke künstlerisch würdigen, so muß man unbedingt bei seinen Lehrmeistern, den Kameramännern Igor Oberberg (2 Filme), Franz Weihmayr (2 Filme), Ekkehard Kyrath (5 Filme), Albert Benitz (4 Filme) und vor allem Kurt Hasse (10 Filme) beginnen. Fünf klangvolle Namen aus der obersten Etage deutscher Chefoperateure!
Besonders Hasse hat Pehlke nachhaltig geprägt, und in Käutners HIMMEL OHNE STERNE (1955), einem der letzten Filme des Teams Hasse/Pehlke vor der Trennung 1956, erreicht das optimale Zusammenwirken beider, sich ideal ergänzender Kameramänner unter der behutsam führenden Hand Helmut Käutners einen absoluten Höhepunkt. Jeder angehende Kameramann, der den Umgang mit Grauverlauffiltern, mit "Day for Night"-Wirkungen und Dämmerungs-Stimmungen am meisterlichen Beispiel studieren will, sollte sich diesen Film mehrmals ansehen. Dies ist nicht zuletzt der Experimentierfreudigkeit Heinz Pehlkes als Operator zu verdanken, der von seinem Meister in dieser Hinsicht eine ungewöhnliche Freiheit zugestanden bekam. Man hatte schließlich bereits sieben Filme zusammen gemacht, und es bestand absolutes Vertrauen des Chefkameramannes gegenüber seinem Operator.
Als Pehlke dann 1956 mit DIE HALBSTARKEN seinen ersten Film als lichtsetzender Kameramann drehte, hatte er in Georg Tressler wiederum einen sehr guten Regisseur, jedoch mit "jungen" Ideen und mit der festen Absicht, keinen "altbackenen" Film zu machen. Immerhin war man zu jener Zeit in Paris (Raoul Coutard) und kurz darauf auch in Wien (Herbert Vesely) und München (Wolf Wirth) intensiv darum bemüht, das Filmlicht zu revolutionieren.
Pehlke fährt bei DIE HALBSTARKEN zwar noch großes Licht in Form von Kohlebogenlampen auf, versucht jedoch seinen Bildern durch Reduzierung der künstlichen Beleuchtung und Nutzbarmachung vorhandenen Tageslichtes durch neue, höherempfindliche Rohfilmemulsionen mehr dokumentarischen Charakter zu geben. Man wagt es damals noch nicht, mit indirektem Licht zu drehen. Das sollte dem amerikanischen Kameramann Haskell Wexler (WHO'S AFRAID OF VIRGINIA WOOLF? / WER HAT ANGST VOR VIRGINIA WOOLF?, USA 1966, Mike Nichols) vorbehalten bleiben, der seine Scheinwerfer gegen die weiße Zimmerdecke und gegen große weiße Reflektionsflächen richtet, um sehr weiches, kaum merkliches Aufhell-Licht zu erhalten. Diese Technik wird danach von allen maßgeblichen Kameramännern überall auf der Welt übernommen, die gesamte Scheinwerferindustrie muß sich umstellen, das sogenannte "englische Licht", nichts anderes als indirekte Beleuchtung, läßt die ganze Werbefilmwelt in Verzückung geraten!
Aber zehn Jahre zuvor, Mitte der 50er Jahre, ist die Zeit noch nicht reif für ein Umdenken in der Filmbeleuchtung. Zu sehr geprägt sind die Kameramänner der Zeit noch von ihren Vorbildern: Das Filmlicht, lehrbuchmäßig dreigeteilt in Führungslicht, Aufhellung und Gegenlicht, ist bei den meisten Kameramännern so etwas wie ihre »Visitenkarte«, natürlich unterschiedlich gehandhabt, doch stets den klassischen Grundregeln folgend. Deshalb denkt auch zu jener Zeit noch kein Chefoperateur daran, beispielsweise einen Film ohne Gegenlicht zu fotografieren, wie es ab etwa 1960 in den Filmen der jungen Franzosen und einige Jahre später auch bei den Frühwerken des Neuen Deutschen Films zu beobachten ist.
Als ob es Heinz Pehlke geahnt hätte: In seinem zweiten selbständigen Film, DIE ZÜRCHER VERLOBUNG (1957), der zugleich auch sein erster Farbfilm ist, nimmt er in der Bildgestaltung, gerade was das Licht betrifft, Wirkungen einer erst wesentlich später "in Mode kommenden" Bildästhetik vorweg. Dieser Käutner-Film zeichnet sich durch eine ausgesprochen "leichte" Fotografie aus. Pehlke arbeitet (noch) nicht mit indirektem Licht, obwohl dies dem Stoff, einer Komödie im Filmmilieu, zugute gekommen wäre. Aber er nutzt jetzt die Farbe, sicherlich auch in Zusammenarbeit mit dem Filmarchitekten und der Kostümbildnerin, um dem zweidimensionalen Filmbild Tiefenwirkung und Kontrast zu verleihen. Pehlke fotografiert farbig und nicht bunt!
Dreharbeiten zu MONPTI (1957). Romy Schneider, Helmut Käutner, Horst Buchholz. Im Hintergrund: Horst Pehlke (m), Operator Günther Senftleben (r).
Diesen Stil setzt er fort in MONPTI, seine Kamera wird bewegter, sein Licht erreicht in den großen Studiodekorationen bereits meisterliche Qualität. Er hat seinen Stil gefunden. Oder besser: Er hat für das jeweilige Genre einen eigenen Stil gefunden.
Bei SCHINDERHANNES, nach heutigem Verständinis ein "Action-Film", bringen ein für damalige Verhältnisse relativ hoher Anteil von Außenaufnahmen und die Notwendigkeit von "Day for Night"-Szenen in Kombination mit Rückprojektionsaufnahmen - und alles in Farbe - extreme Probleme, die Pehlke aber in den Griff bekommt. Erschwerend kommt hinzu, daß dieser Film zu spät im Jahr begonnen wird und Pehlke bei den letzten Außen-Drehtagen im Oktober 1958 beträchtliche Probleme mit der frühen Dämmerung bekommt.
Höhepunkte in Pehlkes fotografischem Schaffen sind zweifellos DAS TOTENSCHIFF (1959) nach B. Traven, DER ROTE KREIS (1959) und SCHWARZER KIES (1960) - drei Filme mit kraftvollen Schwarzweiß-Kontrasten, viel Spitzlicht und dramatischer Lichtführung bei vergleichsweise ruhiger Kamera. In der Tradition des amerikanischen Abenteuerfilms - zum Beispiel THE TREASURE OF THE SIERRA MADRE / DER SCHATZ DER SIERRA MADRE (USA 1948, Regie John Huston, Kamera Ted McCord, ebenfalls nach einer Traven-Vorlage - gelingen Pehlke nahezu "undeutsche", perfekt ausgeleuchtete Schwarzweißbilder. Eine längere Dämmerungssequenz in SCHWARZER KIES zwingt Pehlke einmal mehr zu einem gewagten Experiment mit Filtern, Licht und Blendenveränderung: Er fotografiert die gesamte Szenenfolge bei Tag und bei Sonne, vermeidet den für solche Vorhaben absolut störenden Himmel und hat damit Erfolg. Solche Entscheidungen muß ein Chefkameramann ganz alleine treffen, niemand kann da helfen, es gibt keine Gebrauchsanleitung, und ein dreißigköpfiges Team mit einem ungeduldigen Regisseur an der Spitze erwartet schnelle Lösungen. Und es darf möglichst nichts schiefgehen!
In diesen drei in relativ kurzer Zeit hintereinander gedrehten Filmen ähnlichen Genres zeigt er, wiederum in optimaler Zusammenarbeit mit den Regisseuren Georg Tressler, Jürgen Roland und Helmut Käutner, wie stilsicher er inzwischen geworden ist und wie souverän er Licht und Schatten beherrscht.
Unter der Regie von Wolfgang Liebeneiner dreht Heinz Pehlke im Sommer 1961 nach dem Roman von Knut Hamsun den Farbfilm DAS LETZTE KAPITEL mit Außenaufnahmen in Norwegen. Wegen der für größeres filmtechnisches Gerät schwer zu bewältigenden Bergmotive muß Pehlke, absolut ungewöhnlich bei einem solchen Projekt, auf jegliche zusätzliche Scheinwerfer verzichten und muß sich mit einer Anzahl kleiner und leichter zu transportierender Silberblenden zufrieden geben.
Eine neue Herausforderung für den Kameramann Heinz Pehlke ist 1966 die deutsch-französisch-italienische Coproduktion DIE HÖLLE VON MACAO, ein Eastmancolor/Techniscope-Film unter Regie von James Hill mit internationaler Besetzung. Mit Ausnahme einer Reihe sogenannter "Passagen", also Szenen ohne detaillierte Spielhandlung, die original in Hongkong gedreht werden, entsteht der Film ausschließlich in Artur Brauners CCC-Studios in Berlin-Spandau. Für Pehlke bedeutet das - in Zusammenarbeit mit dem Filmarchitekten Hans-Jürgen Kiebach - Action-Fotografie im ungewohnten Superbreitwandformat mit dem Anspruch, einen spektakulären Abenteuerfilm für den Weltmarkt abzuliefern. Abgesehen von der etwas an die späteren INDIANA JONES-Filme von Steven Spielberg erinnernden Spielhandlung wirkt dieser Farbfilm heute noch erstaunlich frisch und professionell gemacht, was nicht zuletzt der einfallsreichen Kameraarbeit zu verdanken ist.
Will man Heinz Pehlke und seine Kunst der Filmfotografie einordnen zwischen dem der Ufa-Tradition verpflichteten Kamerastil der Nachkriegszeit ab 1947 und einer neuen, sich Mitte der 60er Jahre entwickelnden Bildästhetik, entstanden durch höherempfindliche Aufnahmematerialien und einen gewandelten Zeitgeschmack, dann liegt dieser Kameramann mit seinem Kinofilmschaffen genau zwischen den beiden Extremen.
Er hat als einer der wenigen Chefkameramänner im Alter von etwa 35 Jahren (was als "jung" galt!) den schwierigen Umbruch von der Technik des allmählich als "altmodisch" kritisierten und auch so empfundenen Ufa-Lichtes zu einem "modernen", dem allgemeinen Lebensgefühl der Wirtschaftswunderzeit angemessenen Bildstil gemeistert. Es gibt keinen zweiten deutschen "Director of Photography", in dessen Werk diese Wandlung der Bildästhetik so eindrucksvoll und schlüssig zu beobachten ist wie in Heinz Pehlkes Spielfilmen.
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