FILMtext. Drehbücher klassischer deutscher Filme

Berlin-Alexanderplatz

Drehbuch von Alfred Döblin und Hans Wilhelm zu Phil Jutzis Film von 1931

Mit einem einführenden Essay von Fritz Rudolf Fries und Materialien zum Film von Yvonne Rehhahn.

243 Seiten, 19 Abbildungen
DM 39,50 / öS 288,- / sfr 37,-
München: edition text + kritik 1996
ISBN 3-88377-510-X

Heinrich George in BERLIN - ALEXANDERPLATZ (D, 1931)


Dieses Drehbuch zu Phil Jutzis Film BERLIN - ALEXANDERPLATZ, das Alfred Döblin und Hans Wilhelm 1931 nach dem Bestseller von Döblin verfaßt haben, ist das erste Tonfilm-Drehbuch, das in der Reihe FILMtext erscheint. Ein besonderer Reiz dieser Edition liegt darin, daß es sich - nach Roman und Hörspiel-Fassung - um den Erstdruck einer weiteren »medialen« Auseinandersetzung Alfred Döblins mit seinem »Alexanderplatz«-Stoff handelt.

Im Herbst 1929 erschien - zunächst in Fortsetzungen in der »Frankfurter Zeitung«, dann bei S. Fischer - Alfred Döblins großer Roman »Berlin Alexanderplatz. Die Geschichte vom Franz Biberkopf« und wurde schnell zum Welterfolg.

In der Presse war er sofort umstritten: bekämpft von den kommunistischen Gesinnungs-Wächtern um Johannes R. Becher und »Die Linkskurve« (die u.a. auch das Erscheinen des Romans in der Sowjetunion hintertrieben), als Trivialliteratur abgetan vom konservativen Max Rychner, überwiegend aber gelobt als wegweisende, moderne Schilderung des Großstadt-Lebens. »Von vorne nach hinten aufgerollt ist es eine Stadtwelt, ein ungeheuer reicher, lebensstrotzender orbis pictus von Berlin, - mit einem Einzelschicksal in der Mitte.« schreibt Willy Haas, zugleich einer der scharfsinnigsten Literaten der Weimarer Republik wie führender Filmkritiker und Drehbuchautor. Sofort wird Döblins epische Montagetechnik auch mit den Mittel der Kinematografie verglichen. Herbert Ihering, auch er zugleich beobachter von Literatur, Theater und Film, spricht in seiner Buchkritik von »einem funkelnden, zuckenden Bildstreifen«, von einem »Wortfilm«.

Döblin war einer der ersten Autoren, der »multimedial« zu arbeiten verstand und die neuen Medien der Zeit - Rundfunk und Film - zu nutzen wußte: »Man braucht ihn nur im Rundfunk zu hören, um zu wissen, wie momentan er wirken kann, wie sehr er im Augenblick produziert, wie viel ihm einfällt, wie sein Geist springt, das Tausendste berührt und nach allen Seiten ausgreift.« (Ihering). So lag es nahe, daß er den Bestseller auch multimedial auswertete: Im September 1930 sendete die Berliner Funkstunde »Berlin Alexanderplatz« als Hörspiel, das Döblin gemeinsam mit Max Bing und seinem Bruder Hugo Döblin erarbeitete. Und im Mai 1931 begannen die Dreharbeiten zur Verfilmung. Regie führt Phil Jutzi, der 1929 mit seinem Stummfilm MUTTER KRAUSENS FAHRT INS GLÜCK für die Prometheus-Film einen Klassiker des proletarisch-realistischen Kinos gedreht hatte, und dessen Karriere als Kameramann und Regisseur ebenso Trivialfilme (BULL ARIZONA, DER WÜSTENADLER), die deutsche Bearbeitung der erfolgreichen Russenfilme (u.a. Eisensteins PANZERKREUZER POTEMKIN) wie auch eine Reihe kämpferischer Dokumentarfilme (DIE ROTE FRONT MARSCHIERT) umfaßte.

BERLIN - ALEXANDERPLATZ, der nicht von einer der großen Firmen, sondern von Arnold Pressburgers Allianz-Tonfilm GmbH hergestellt wurde, entstand zum Teil improvisiert an Originalschauplätzen in und um Berlin. Die Titelrolle spielte Heinrich George. Das Drehbuch verfaßte Döblin selbst gemeinsam mit dem Routinier Hans Wilhelm (SÜNDIG UND SÜSS, EIN BURSCHENLIED AUS HEIDELBERG).

Als der Film im September 1931 - knapp zwei Jahre nach dem Erscheinen des Buches - Premiere hatte, löste er ähnliche Kontroversen aus wie der Roman, allerdings insgesamt eher mit einem enttäuschten Unterton, wenn - wie meist - mit dem Roman verglichen wurde, nicht der Film für sich genommen wurde, sondern die Kritiker sich ihm mit Forderungen und festen Vorstellungen begeisterter Leser näherten. »Dieser Film hatte die Verpflichtung und die Möglichkeit, Stationen der sozialen Verelendung, des vergeblichen, redlichen Existenzkampfes aufzuzeigen. Das Schicksal hätte zwangsläufig sein müssen. Hier erscheint es als eine Kette von Zufällen, Intrigen, Liebesaffären.« schreibt Alfred Kantorowicz in der »Literarischen Welt. Und Ihering bescheinigt ihm, »wenn man das Niveau der Tonfilmproduktion bedenkt, ein wertvoller Film. Er ist, wenn man die Möglichkeiten des Stoffes und des Themas betrachtet, bedenklich.«

Mit dieser Edition des Original-Drehbuchs, läßt sich erstmals überprüfen, wie Döblin versucht hat, seinen Stoff den Bedürfnissen des - für alle Beteiligten ganz neuen - Tonfilms anzupassen, die Themenvielfalt des Romans auf die relative Kürze eines Spielfilms zu verknappen, aus Realitätssplittern ein optisch-dramaturgisches Konzentrat herzustellen.

In seinem einleitenden Essay vergleicht Fritz Rudolf Fries Buch und Film. Anknüpfend an ganz persönliche Erfahrungen mit der Verfilmung eines breit angelegten Romans (»Das Luftschiff«) berichtet er über die Überlegungen und Probleme eines Romanciers, seinen eigenen Roman zu einem eigenständigen Drehbuch umzuarbeiten. Yvonne Rehhahn untersucht die Produktions- und Rezeptionsgeschichte des Films und stellt zeitgenössische Materialien zusammen.


Auszug

Andere Bände der Reihe