3 x Nebenzahl. Materialien zum 14. Internationalen Filmhistorischen Kongreß, Hamburg, 15. - 18. November 2001.

G. W. Pabst und die Dreigroschenoper


G. W. Pabst und die Dreigroschenoper

Der Autor der "Dreigroschenoper", Bert Brecht, befindet sich dem Regisseur G. W. Pabst gegenüber bekanntlich in Fehde, die auch in der Klage gegen die herstellende Firma ihren Ausdruck gefunden hat. In diesem Augenblick wird ein Interview mit G. W. Pabst über seine künstlerischen Absichten bei der Verfilmung der "Dreigroschenoper" besonders interessieren.

"Wie fassen Sie eigentlich die ›Dreigroschenoper‹ auf, Herr Pabst, theatralisch oder rein optisch?" - Pabst besinnt sich keine Minute. "Rein optisch natürlich! Sehen Sie: die ›Dreigroschenoper‹ darf ja im Tonfilm gar nichts mehr mit dem Theater gemein haben! Sie darf es ja auf der Bühne kaum! Bei der Inszenierung des tönenden Films muß ich die ›Unvorbereitung‹ des Publikums auf den Stoff in meine Arbeit einkalkulieren: die ›Dreigroschenoper‹ ist ja eine Travestie, eine Verspottung der herkömmlichen Spieloper. Hier, im Tonfilm, dürfen die Darsteller um keinen Preis mit den gleichen Worten und Gesten agieren wie auf der Bühne: denn der Witz der Travestie, der leise, ironische Ton, kann nur von der Bühne aus ursprünglich wirken. Ich habe kürzlich das Wort geprägt: ›Die ›Dreigroschenoper‹ lebt vom Staube des Theaters.‹" - Ich: "So ist es. Vom Staube des vorgestrigen Theaters, das leider noch heutig ist." - "Ja. Ich muß bemüht sein, die Travestie als solche zu erfassen, denn das Bühnenstück als solches spottet ja der Materie, der es sein Leben verdankt.
Die ›Dreigroschenoper‹ ist ja eigentlich Tonfilm, und wenn mir meine Arbeit gelingt, dann werde ich Gelegenheit haben, zu zeigen, wo entlang die Linie des Tonfilms - die ja bisher noch niemand gefunden hat - geht.
Ich habe den englischen Urtext, der 300 Jahre alt ist, gelesen, mich in den seltsam ernsten und tragischen Stoff gekniet - und gerade darum glaube ich, die Atmosphäre, die zu diesem Stück gehört, richtig geben zu können. Sie wissen: ich stehe konträr zu Brecht und Weill, den Autoren. Aber gerade dieses divergierende Verhältnis trägt für mich dazu bei, meinen eigenen künstlerischen Intentionen zu folgen." - "Sie sind der seltsame Spielleiter, Herr Pabst, der während der Arbeit weder Nervosität, noch Anstrengung ziegt, der nie abgespannt, noch ermüdet ist. Äußerlich wenigstens. Wie machen Sie das?" - "Das ist doch so: ich inszeniere visionär. Der fertige Film schwebt mir vor, ich weiß, wie ich die Szene haben will und brauche sie nach meinen Gedanken nur zu stellen." -
"Übrigens, Herr Pabst: selten ist ein Film mit größerer Spannung von der künstlerisch interessierten Welt erwartet worden wie dieser." - "Das bedrückt mich irgendwie. Ich will nichts davon wissen, daß man auf meine Arbeit wartet; denn ich arbeite nicht schematisch und nicht mechanisch." - "Man weiß das. Sie sind jener merkwürdige Regisseur, der trotz aller Eile, der Hast, die hinter ihm steht, obwohl andere Firmen auf das Atelier lauern - immer Künstler ist, nie Handwerker - und geben jedem ihrer Filme das, was wir Kritiker mit ›Kunst‹ zu bezeichnen pflegen." - "Das liegt kaum an mir. Wahrscheinlich steckt meine Begeisterung an meiner Arbeit meine Mitarbeiter an - vielleicht geht ein Teil der eigenen Initiative auf die anderen über - aber ich habe noch nie erlebt, daß auch nur einer meiner Mitarbeiter müde oder uninteressiert geworden wäre. Keiner verliert die Lust, niemand den Mut - weil ich ihn ja auch nicht verliere!"

Hans Taussig, Reichsfilmblatt, Nr. 40, 4.10.1930

 

 

Seymour Nebenzahl:
Neujahrshoffnungen für die deutschen Fabrikanten. Wann endlich - 

Sollte es im Jahre 1931 nicht in Erfüllung gehen, daß die deutschen Filmproduzenten sich zu einer Solidarität durchringen, so wird auch das kommende Jahr keine wesentliche Besserung der wirtschaftlichen Lage des deutschen Filmproduzenten mit sich bringen. Heute sieht sich der Filmproduzent stets Kontrahenten gegenüber, die, gestützt auf Konventionen, Tarife und Verbände, es sich leisten können, diktatorisch zu wirken.
An den übermäßigen Gagen einzelner Schauspieler andererseits sind nicht diese schuld, sondern die Filmproduzenten, die sich gegenseitig überbieten.
Zwar existieren Produzentenverbände, aber ich habe noch nicht erlebt, daß diese Verbände in wirksamer Weise die lebenswichtigsten Interessen des Filmproduzenten geschützt hätten. Aus einem wirksamen Zusammenschluß würde sich meines Erachtens zwangsläufig alles weitere ergeben. Sollte dieser Wunsch nicht in Erfüllung gehen?

S. Nebenzahl 
Direktor der Nero
Film-Kurier, Nr. 1, 1.1.1931

 

 

Lang schließt mit Nebenzahl ab 
Drei weitere Filme 1931-33

Wie wir hören, hat Fritz Lang mit Seymour Nebenzahl einen Vertrag abgeschlossen, der die Herstellung von drei weiteren Filmen in der gleichen Kombination wie der eben beendete vorsieht. Die Filme, die als Fritz-Lang-Filme der Nero firmieren, werden innerhalb der beiden nächsten Saisons gedreht.
*
Fritz Lang hat mit dem in der Nero-Kombination hergestellten "Mörder unter uns" seinen ersten Tonfilm inszeniert. Die Erfahrungen, die beide Vertragspartner miteinander gemacht haben, sind offenbar so günstig, daß diese längere Bindung auf Sicht erfolgt ist.
Wie wir hören, hat Fritz Lang eine Reihe von Stoffen völlig verschiedenen Genres. Er beabsichtigte, die neuen Tonfilm-Möglichkeiten zu benutzen, um ganz andere Themen zur Diskussion zu stellen. Welche von diesen Stoffen er zuerst in Angriff nimmt, steht noch nicht fest.
Die Entscheidung fällt nach der Uraufführung des eben beendeten Werkes, die noch im Laufe des nächsten Monats stattfinden soll.

Film-Kurier, Nr. 42, 19.2.1931

 

 

Hans Kraely gegen Nero-Film.

Vor der Weigertkammer des Landgerichts I fand gestern die Verhandlung um eine Klage Hans Kraelys gegen die Nero-Film wegen der Verfilmung von KOHLHIESELS TÖCHTER statt. Hans Kraely, der immer noch in Hollywood ist, hat seinerzeit für die Ufa das Manuskript zum ersten KOHLHIESEL-Film geschrieben. Die Nero, die vor einiger Zeit einen Tonfilm desselben Titels und Vorwurfs herausgebracht hat, wurde von Kraely auf Schadenersatz verklagt, da man seine Erlaubnis zur Verfilmung seines Manuskriptes nicht eingeholt habe. Vertreter des Klägers ist Rechtsanwalt Dr. Wenzel Goldbaum. Die Beklagte vertritt Rechtsanwalt Dr. Fritz Fischer.
Die Beklagte macht geltend, daß Kraely damals von der Ufa angestellt gewesen sei, und daß die Nero vorsorglich eventuelle Widerspruchsrechte der Ufa gegen den Nero-Tonfilm abgegolten habe. Also können Kraely keine weiteren Rechte mehr zugestanden werden. Rechtsanwalt Dr. Goldbaum widerspricht unter Hinweis darauf, daß es sich ja nicht um eine weitere Stummfilmverfilmung handle, sondern um die Vertonfilmung des Kraelyschen Vorwurfes.
Vom Gericht ist Beweisbeschluß ergangen.

Film-Kurier, Nr. 93, 22.4.1931

 

 

Ne-Mi

Ein deutscher Produzent von Namen, in stummen wie in Tonfilm-Jahren erfolgreich, stets mit demselben recht bewährten Stab von Führern und Mitarbeitern tätig, hat seine Basis verändert: Die alte Mutterfirma, die Greenbaum, auf die die Last von Zusammenbrüchen anderer und manche Fehldispositionen drückten (die nicht auf das Schuldkonto der Verwaltung kommen), wird abgetragen. Die aktiven Mitarbeiterkräfte des Unternehmens führen in neuem Rahmen die Filmaufgaben einschließlich der auf ihnen ruhenden Verbindlichkeiten durch.
Und zwar werden diese Verbindlichkeiten der alten Greenbaum auf die kommende Produktion, wie man uns sagt, in voller Höhe übernommen - bei einer Gesellschaft, die Herr Nebenzahl (Nero) mit H. Millakowsky neu gründet.
Zwischen Millakowsky und der alten Greenbaum sind Arrangements getroffen, nach denen ihr ehemaliger alleiniger Geschäftsführer die Restverpflichtungen der alten Firma im Laufe von sechs Monaten begleicht.
Filmkunden sollen auf diese Weise nicht eine Mark an der alten Greenbaum verlieren. Ein "Vergleich", der im Grunde genommen also gar keiner ist und doch recht vorteilhaft von dem abzustechen scheint, was man sonst von solchen "Umgründungen" hört und liest.
Wesentlich: durch die Kombination Millakowsky-Nebenzahl sind zwei Partner vereint, die wohl zu den gewandtesten ihres Faches zu zählen sind, und die außer ihren souveränen Kenntnissen des Filmfinanzierungsgeschäftes und der europäischen Filmwirtschaft sogar noch gute Filme herausbringen. Wenn man genau hinschaut, die besten Filme der unabhängigen Produktion überhaupt (PRIVATSEKRETÄRIN, ARIANE, M, usw.).
Ob die neue Firma, in der die angekündigten Greenbaumfilme hergestellt werden, sich die Kopfbuchstaben ihrer beiden Köpfe nimmt und tatsächlich "Ne-Mi" heißen wird, tut ja nichts zur Sache. Es kommt bei dieser Transaktion, die die Greenbaumleute zu freier, sorgenloserer Produktion führen soll, eben auf diese beiden Köpfe an.
Greenbaum war als Produktion eine der Marken an der Spitze, sie mag in ihren Finanzierungsmethoden angreifbar und verlustreich gewesen sein, ein strebsamer und erfolgreicher Produzent war sie, wird sie auch in neuem Gewande hoffentlich bleiben. Wir haben nicht viele tüchtige Söhne vom Stamme Nemi in Film-Europa.

Film-Kurier, Nr. 206, 3.9.1931

 

 

Fünf Jahre Nero-Produktion
Drei Jahre Ver. Star-Film-Verleih

Fünf Jahre sind es her, seitdem S. Nebenzahl den ersten Nero-Film startete: den von Richard Oswald inszenierten Film DÜRFEN WIR SCHWEIGEN?. Ein halbes Jahrzehnt Produktionsarbeit ist um so mehr Anlaß zu einem Rückblick, als die Ver. Star-Film soeben ihr Programm bekanntgibt.
Der Devise, die sich S. Nebenzahl von Anfang an gesetzt hat, künstlerisch hochwertige Filme, die gleichzeitig allen Interessierten geschäftliche Erfolge bringen, ist er treu geblieben. Bei all ihren Produktionen in den fünf Jahren ließ sich die Nero-Film AG, und ihr Leiter S. Nebenzahl nie von den zurzeit immer wieder auftauchenden Strömungen der billigen Geschäftsfilme, der Wien-, Kasernenhof- und Rhein-Filme mitreißen, sondern verfolgte stets seine künstlerische Linie, so daß die Nero-Film AG bereits in den ersten Jahren ihres Bestehens in der ersten Reihe der deutschen Produktionsfirmen stand. Es sei nur an den von G. W. Pabst inszenierten Film aus der stummen Ära DIE BÜCHSE DER PANDORA erinnert.
Mit der Umstellung auf den Tonfilm verstand es S. Nebenzahl, die deutsche Weltgeltung auf dem neuen Gebiet von Anbeginn an eng mit der Marke der Nero zu verbinden. Mit phantastischer Schnelligkeit führte er bahnbrechend die Umstellung durch und brachte unter der Regie G. W. Pabsts mit WESTFRONT 1918 einen Film, der im wahrsten Sinne des Wortes ein Welterfolg wurde. Bezeichnend ist, daß er selbst in Paris trotz aller politischer Spannungen in französischer und dann in deutscher Fassung mit unverminderter Zugkraft dem Publikum seit Monaten vorgeführt wird. WESTFRONT 1918 - ARIANE - M: alles Marksteine in der künstlerischen Entwicklung des Tonfilms. Die ersten Henny-Porten-Tonfilme. Beste Namen: Pabst, Fritz Lang, die Bergner. Das sind die Charakteristika für S. Nebenzahls filmindustrielle Leistung, für eine Arbeit, die sich unermüdlich fortsetzt. Dies findet seinen Ausdruck auch in dem neuen Programm der mit der Entwicklung der Nero eng verbundenen Ver. Star-Film, die in glücklichem Zusammenwirken von Jacques Glaß und Wilhelm Graf im deutschen Filmverleih einen erstrangigen Platz behauptet. Dieses neue Programm sei an anderer Stelle eingehender gewürdigt.

Lichtbild-Bühne, Nr. 219, 12.9.1931

 

 

Jacques Glaß 50 Jahre

Jacques Glaß, Direktionsmitglied der Vereinigten Star-Film, feiert morgen seinen 50. Geburtstag.
Jacques Glaß ist gebürtiger Russe. Er trat in jungen Jahren zum Bankfach über und wirkte lange Jahre bei vielen internationalen Transaktionen mit, zuletzt als Bankier in Holland.
Durch seine Freundschaft mit S. Nebenzahl kam er zum Film und wurde 1929 Mitbegründer der Vereinigten Star-Film. Als Finanzstratege hat er zusammen mit dem Verleihfachmann Wilhelm Graf in den letzten beiden Jahren die Firma glücklich geführt. Obwohl erst ein "Junger" in der Filmindustrie, hat er sich doch schon allgemeine Sympathien erwerben können.

Film-Kurier, Nr. 300, 23.12.1931

 

 

"Direkt noch rosig"

Eine fröhliche Film-Familie ist wieder in Berlin eingetroffen - man kennt ja in Film-Berlin ihren ganzen Kreis, bezeichnet durch drei Namen, Seymor Nebenzahl, Direktor Glaß und Marcel Hellmann, sie kommen aus Paris - und was sie erzählen? Der allgemeine Eindruck?
Es wäre sehr leichtfertig, die französische Filmindustrie dadurch ins Gerede zu bringen, daß man wie viele, die jüngst aus Paris kamen - von René Clair angefangen - erklärt: "Aber hier in Berlin ist es ja direkt noch rosig gegenüber dem, was man von den Pariser Filmfirmen hört".
Es wäre so leicht wie leichtfertig, den Finger zu erheben und Firmen zu nennen, die in Schwierigkeiten stecken. Wer steckt im schwierigen Europa nicht in Schwierigkeiten?
Großartige Neuigkeit von Fachblättern - das "Knistern im Gebälk". Es gehen ganz andere Dinge aus den Fugen als Filmgesellschaften. Das Ilu-Ilu-Geschrei, das Lamentieren von Klagemännern an den Mauern der Friedrichstraße hilft gar nichts.
Es geht keinem gut - und die Frage ist nur, wer verdient, daß man ihn schützt. Wer ist im Kern gesund - mag auch die eine oder andere Schale lädiert sein, so daß sie abgestreift werden muß.

Film-Kurier, Nr. 7, 8.1.1932

 

 

Nero - C. T. Dreyer

Wie verlautet, stehen Verhandlungen zwischen S. Nebenzahl und dem Regisseur C. Th. Dreyer des soeben in heißen Premieren-Schlachten gestarteten Avantgarde-Films VAMPYR, vor dem Abschluß. Dreyer soll für die Nero als Regisseur tätig sein.
Dreyers Film VAMPYR zog gestern 1900 Personen ins UT Kurfürstendamm, konnte also zweieinhalb ausverkaufte Vorstellungen erzielen. Gewiß ein Zeichen, daß es ein Avantgarde-Publikum in Berlin gibt, das sich auch durch die sehr geteilte Tagespresse nicht abschrecken ließ.

Film-Kurier, Nr. 108, 9.5.1932


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