Als die Bilder singen lernten. Materialien zum 11. Internationalen Filmhistorischen Kongreß, Hamburg, 5. - 8. November 1998.

René Clair: Dank an die deutsche Presse

in: Licht-Bild-Bühne, 12.5.1931


Anläßlich der Berliner Uraufführung von »Le million« fand gestern zu Ehren René Clairs ein Presse-Empfang im Hotel Adlon statt. Der außerordentlich starke Besuch bewies die große Sympathie, deren sich René Clair in Berlin erfreut. Für die Tobis machten Dr. Bagier und Dir. Mainz die Honneurs. Die deutsche Produktion war durch die Regisseure E. A. Dupont und G. W. Pabst vertreten. Auf die liebenswürdigen und sehr herzlichen Begrüßungsworte Dir. Goldschmids hielt René Clair eine ebenso scharmante wie kluge Ansprache, die wir im Wortlaut wiedergeben.

Obwohl ich keine Vorliebe für Reden habe (weder in Versammlungen, noch in Sprechfilmen), kann ich mir doch heute nicht versagen einige Worte zu sprechen. Ich wäre tatsächlich undankbar, wenn ich die Gelegenhiet, die mir diese Zusammenkunft heute bietet, vorübergehen ließe, ohne dessen zu gedenken, was ich dem deutschen Publikum und der deutschen Presse zu danken habe.

Als ich das vorigemal nach Berlin kam, war es, um der Premiere meines Films »Unter den Dächern von Paris« im Mozartsaal beizuwohnen. Dieser Film war wenige Tage zuvor in Paris zum ersten Male vorgeführt worden. Die gleichgültige Aufnahme beim Publikum, die Strenge eines großen Teiles der Presse hatten meine Mitarbeiter und mich selbst ein wenig entmutigt. Ich fing an zu denken, wir hätten uns geirrt, und es wäre zwecklos, zu versuchen, mit dem Sprechfilm etwas anderes zu machen als photographiertes Theater. Aber die Aufnahme, die man meinem Film in Berlin zuteil werden ließ, bereitete diesem Film ein anderes Schicksal: »Unter den Dächern von Paris« wurde in der ganzen Welt gespielt. Ich erinnere nicht daran, um einem Gefühl der Eitelkeit nachzugeben (ich weiß nur zu gut, daß der Erfolg eines Films nicht immmer im Verhältnis zu seinem Werte steht), sondern damit Sie den Grad meiner Dankbarkeit ermessen können. Man kann in der Tat annehmen, daß das Verständnis und die Sympathie des deutschen Publikums das Geschick meines ersten Tonfilms entschieden haben, und dadurch auch die Formel des Tonfilms, so wie meine Mitarbeiter und ich sie festzulegen versuchen.

Dieses Verständnis des Publikums war von der Presse vorbereitet worden, und von dieser Presse will ich jetzt sprechen. Ich will ihr nicht dafür danken, daß sie meinen Film schön gefunden und das auch gesagt hat (das ist eine Sache des Geschmacks und des Gewissens und dafür dankt man nicht), ich danke ihr dafür, daß sie meinen Film mit solcher Aufmerksamkeit und so viel Scharfsinn studiert hat, und daß sie durch ihre Bemühungen den Sinn des Publikums darauf gerichtet hat, die Schlichtheit einer Handlung zu goutieren, die ihm sonst vielleicht hätte ärmlich erscheinen können und eine Formel zu verstehen, deren Neuheit sonst vielleicht Verwunderung ausgelöst hätte. Was die deutsche Presse damals für meinen Film getan hat, kann ich nur einer wirklichen Mitarbeit vergleichen. Wir sind es in Frankreich nicht gewöhnt, daß das Kino mit so viel Aufmerksamkeit behandelt wird. Würde die Filmkritik in allen Ländern mit so viel Intelligenz und Unabhängigkeit wie in Deutschland ausgeübt, so würden die Autoren besser unterrichtet, das Publikum besser geleitet sein und das Kino bessere Chancen haben, den kommerziellen Interessen, die seine Fortschritte hemmen, zu entgehen.

Sie werden nun bald »Die Million« sehen. Glauben Sie nicht, daß es ein großes Werk sei, Sie würden enttäuscht sein. Es ist nur eine Phantasie, eine Unterhaltung für Auge und Ohr, bei der meine Mitarbeiter und ich versucht haben, die Musik und die Geräusche in einer neuen Weise zu benutzen. Dannoch wird diese Art für Sie nicht ganz neu sein, Sie haben die letzten in Deutschland geschaffenen Film-Operetten gesehen - besonders »Die drei von der Tankstelle«. Einige französische Kritiker haben sogar behauptet, dieser Film hätte mir zum Vorbild gedient. Wenn die Wahrheit einiges Interesse verdient, so muß ich sagen, daß, als ich das Vergnügen hatte, dieses reizende Werk in Paris zu sehen, mein »Drehbuch« bereits geschrieben war. Obgleich die Frage des Datums und der Priorität von nur geringer Bedeutung ist, möchte ich doch den Autoren dieser Filme meine Bewunderung aussprechen, die als die ersten auf den rechten Weg gelangt sind. Um die Wahrheit zu sagen: unsere Inspiration reicht viel weiter zurück. In dem Augenblick, wo wir versuchen, den wirklichen Tonfilm mit größerer Kühnheit zu fördern (und das wird, hoffe ich, das Hauptbestreben meines nächsten Tonfilms sein), liegt mir daran, ein Werk zu grüßen, das uns gelehrt hat, was der Ton für das Bild sein kann: »Die Melodie der Welt« von Walther Ruttmann und Zeller. Dieses schon alte Werk und die Trickzeichnungen der Micky-Maus-Serie sind die wahren Quellen der Inspiration der Tonfilme, und ich kann sie für meinen Teil nicht vergessen. Man spricht in der »Million« französisch, wie man »Unter den Dächern von Paris« französisch gesprochen hat. Wir haben dem Dialog nur einige kurze deutsche Erklärungen beigefügt, die für das große Publikum bestimmt sind, wenn die Handlung an einigen Stellen ein bißchen komplizierter wird. Ich hoffe, das wird bei unserem nächsten Film nicht mehr nötig sein. Meines Erachtens soll ein Sprechfilm in vielen Ländern gespielt werden, in denen eine andere Sprache gesprochen wird. Es genügt, eben einen Film zu machen, und nicht photographiertes Theater. Ich bin glücklich, daß »Unter den Dächern von Paris« in dieser Hinsicht das Beispiel gegeben hat. Das System der in verschiedenen Versionen gedrehten Filme ist, meines Erachtens nicht künstlerisch, und manchmal auch eine schlechte kaufmännische Rechnung. Aber es gibt noch ein anderes System, dessen Schädlichkeit man bereits einzusehen beginnt, und das die größten Gefahren für die Filmkunst birgt. Es ist das Verfahren, das die Amerikaner »Doubling« nennen, und das darin besteht, eine fremde Stimme das Bild eines Schauspielers besprechen zu lassen, der beim Filmen seine eigenen Sprache gesprochen hat. Man kann sich nur schwer eine schlimmere Verleugnung eines Kunstwerkes vorstellen, das der Film doch jedenfalls zu verkörpern hat. Man kann die Bemühungen der Autoren und der Darsteller nicht gründlicher zugunsten des Geschäfts herabwürdigen. Wenn die Erfindung des Sprechfilms darauf hinauslaufen soll, so bleibt nur zu wünschen, der Sprechfilm möge uns alle schleunigst taub machen, damit wir weniger Dummheiten zu hören bekommen.

Es ist interessant festzustellen, daß man überall eifrig die Lösung des Problems sucht, das der Sprechfilm angesichts der Internationalität des Films zur Diskussion stellt, während doch diese Lösung höchst einfach ist. Es kommt mir nicht zu, darauf hinzuweisen, aber es scheint mir, daß, wollte man nur die Möglichkeiten von Bild und Ton ein wenig mehr erweitern, und, auf der anderen Seite, den Dialog und die alten Hilfsmittel des Theaters mehr beiseite lassen, man immer und überall in der Welt genug Säle und Zuschauer finden wird, um einen Film lebensfähig zu machen. Durch einen Austausch von Sprechfilmen in den verschiedenen Sprachen - ohne Übertreibung gesprochen! - wird der Internationalismus des Films wieder aufleben, dieser Internationalismus, der der Ruhm des stummen Films war.

Ehe ich zum Schluß komme, möchte ich Ihnen noch sagen, daß ich meinen Mitarbeitern viel verdanke, und Sie bitten, sollte Ihnen »Die Million« gefallen, nicht zu vergessen, daß wir unserer viele daran gearbeitet haben. Ich möchte Ihnen auch noch sagen, daß ich der Direktion der Tobis in Paris dankbar bin, die mich in all der Freiheit arbeiten ließ, die ein Regisseur braucht. Wir arbeiten in Epinay alle zusammen. Deutsche und Franzosen, mit einem Geist der Kameradschaftlichkeit und des guten Einvernehmens, der durch nichts getrübt wird. Ich will daraus keine besonderen Schlüsse ziehen und mich nicht auf politische Anspielungen einlassen. Aber gestatten Sie mir, Ihnen zu sagen, daß die friedliche Atmosphäre des deutsch-franzöischen Studios in Epinay manchmal recht tröstlich ist. Es ist angenehm zu denken, daß die Freundschaft leicht zwischen Menschen gedeiht, wenn sie zusammen arbeiten, und wenn sie sich besser kennenlernen.


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