Reihe CineGraph Buch

Jan Distelmeyer (Red.)
Alliierte für den Film

Die Geschichte der Tobis vom Technik-Syndikat zum Staatskonzern.

Jan Distelmeyer
Vorwort

 

Geschichten von Allianzen


Der vorliegende Band bildet den vierten Schritt auf dem Weg zu einer bis-lang vernachlässigten Form deutscher Filmgeschichtsschreibung. Schon die letzten CineGraph-Bücher zur Deutschen Universal, zur Nero-Filmproduktion und zur Tobis bildeten Beiträge dazu, die Geschichte des Films in Deutschland als eine Geschichte von Produzenten und Produktions-firmen zu erschließen. Über die Verbindung von persönlichen Schicksalen, Firmengeschichten, politischen Entwicklungen und ästhetischen Traditio-nen werden vergessene, übersehene und verdrängte Aspekte der Ge-schichte des Films in Deutschland erarbeitet und zugänglich gemacht. Da-bei spielen transnationale Verbindungen der verschiedenen Personen und Firmen eine besondere Rolle. Dieser Weg führt nun konsequent zu den au-ßergewöhnlichen Karrieren der Produzenten Arnold Pressburger und Gre-gor Rabinowitsch: Ihr Wirken und die Geschichte ihrer Firmen, vor allem die ihrer gemeinsamen berliner Cine-Allianz Tonfilm GmbH, spiegeln auf besondere Weise die Entwicklung des deutschen Films und seine Bezüge zur internationalen Filmgeschichte.

Arnold Pressburger, geboren 1885 im damals zu Österreich-Ungarn gehö-renden Preßburg, begann im Wien der 1910er Jahre seine Karriere als Film-kaufmann und Produzent. Einen Namen machte er sich als Generaldirektor der Sascha Filmindustrie AG vor allem mit der Produktion von Monumental-filmen; hier ermöglichte er die erfolgreiche Arbeit von Regisseuren wie Alexander Korda und Michael Kertesz, der später in Hollywood als Michael Curtiz Welterfolge inszenierte. In Berlin markierte Pressburger 1929 mit der Tobis-Produktion DAS LAND OHNE FRAUEN den Übergang zum Tonfilm, hier gründete er 1930 seine erste eigene Firma, die Allianz Tonfilm GmbH. Gre-gor Rabinowitsch, geboren 1889 in der ukrainischen Hauptstadt Kiew, emi-grierte in den 1920er Jahren nach Paris, wo er mit seinem Partner Noë Bloch 1926 die Ciné-Alliance gründete und russische Emigranten in einem pro-duktiven Arbeitszusammenhang vereinte. Nur ein Jahr später folgten Rabi-nowitsch und Bloch einem Angebot der Ufa, in Berlin Großfilme zu verwirk-lichen, doch 1930 machte das Sanierungskonzept des Filmkonzerns die Vi-sionen der russischen Produktionsgruppe zunichte.

Die geschäftliche Erfahrung des einen und die wertvollen Auslandskontakte des anderen führten Arnold Pressburger und Gregor Rabinowitsch schließ-lich zusammen. Am 6. Januar 1932 ließen sie als gleichberechtigte Gesell-schafter ihre neue Firma ins berliner Handelsregister eintragen: die Union-Tonfilm, die sich zwei Monate später in Cine-Allianz Tonfilm GmbH umbe-nannte. Der Firmenname verwies nicht nur auf frühere Firmen beider Pro-duzenten, sondern ist durchaus auch programmatisch zu verstehen: Als in-ternationale Film-Alliierte nutzten Pressburger und Rabinowitsch den Ton-film und produzierten u.a. erfolgreiche Musikfilme mit dem polnischen Star-tenor Jan Kiepura und Marta Eggerth, die in Mehrsprachen-Versionen inter-national vermarktet wurden.

Die Politik der Nazis zerstörte den Traum der beiden Kosmopoliten von eu-ropäischen Produktions-Achsen in einem Filialensystem der Cine-Allianz. 1935 wurde die Cine-Allianz Tonfilm GmbH auf Druck der Reichsfilmkam-mer in eine Liquidationsgesellschaft überführt. Zwei Jahre später erfolgte die endgültige Enteignung der beiden jüdischen Produzenten. Nach der na-tionalsozialistischen »Arisierung« benutzte die Ufa den Markennamen Cine-Allianz jedoch weiter – und so kam es, dass propagandistische NS-Unterhaltungsfilme wie WUNSCHKONZERT (1940) und SECHS TAGE HEIMATURLAUB (1941) unter dem Signet einer Firma herauskamen, deren Gründer als Opfer des NS-Regimes das Land längst verlassen hatten. Nach ihrer Emigration setzten Pressburger und Rabinowitsch ihre Karrieren ge-trennt fort: in London, Rom, Paris und in den USA. Der Name Allianz sollte in unterschiedlichen Sprachen und Konstellationen wieder auftauchen. 1951, während der Dreharbeiten zu Peter Lorres Meisterwerk DER VERLORENE starb Arnold Pressburger in Hamburg, zwei Jahre später verstarb in Mün-chen Gregor Rabinowitsch.

Nicht eine, sondern mindestens drei Geschichten also gilt es hier zu würdi-gen. Und weder die Arnold Pressburgers noch die Gregor Rabinowitschs oder die des Markennamens Cine-Allianz kann aus einer einzigen Perspek-tive heraus angemessen erzählt werden. Aus diesem Grunde sind die Annä-herungen in diesem Buch bewusst heterogener Natur. Sie sind Untersu-chungen zu einzelnen Aspekten und Zusammenhängen, die in ihrer Kombi-nation die Komplexität dieser Produzenten- und Firmengeschichte(n) reflek-tiere. Es geht um das Nachzeichnen des persönlichen Wirkens der zwei Produzenten in unterschiedlichen Ländern, um die Entwicklung und die zahlreichen Metamorphosen des Labels »Cine-Allianz«, um die Frage nach Produktionsstrategien von Pressburger und Rabinowitsch und um analyti-sche Auseinandersetzungen mit ihren Filmen.

Der Blick auf die »Alliierten für den Film« richtet sich so in einem dreifa-chen Sinne über Grenzen hinaus: über nationale Grenzen, über politische Grenzen (vom Weimarer Kino über Nazideutschland und das erzwungene Exil bis zum Nachkriegsdeutschland) und über ästhetische Grenzen. Dabei gilt es nicht zuletzt, die sich wandelnden kulturellen Kontexte zu berück-sichtigen, in denen Filme entstehen und in die hinein sie wirken.

Jan Distelmeyer, im Sommer 2004




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