FilmMaterialien 6 - Paul Dessau.

Meine Filmmusik

Von Paul Dessau

in: Du und mancher Kamerad. Progress-Presseheft, 1956


Ich schreibe die Musik zu dem Dokumentarfilm DU UND MANCHER KAMERAD; das ist ein großer, fast zweistündiger Tatsachenbericht über die beiden Weltkriege dieses Jahrhunderts. Für einen Musiker bietet ein solcher Film eine Fülle interessanter Probleme und enorme Möglichkeiten für den Einsatz und die Wirkung der Musik. Der Musiker kann sozusagen alle Saiten »springen lassen«; kaum ein anderes Genre bietet ihm so viel Abwechslung in Form und Stil und Farbe. Gerade deshalb muß der Komponist darauf bedacht sein, alles »unter einen Hut zu bringen«, nie das Ganze aus dem Ohre zu verlieren.

In diesem Film spielen Volkslied und Soldatenlied eine große Rolle. Aber in gar keinem Falle kann es sich darum handeln, Stimmungen »zu untermalen«, wie das in der Vergangenheit wohl viel praktiziert wurde. Die Musik hat vielmehr die Aufgabe, kritisch und wertend zu wirken. Ein Beispiel: Wenn wir in unserem Film vor dem ersten Weltkrieg, im Jahre 1910 eine Gruppe alter Herren in ihren Soldatenverbänden aufmarschieren sehen (Kriegervereine nannten sich diese Organisationen), dann glaube ich, wäre es falsch, einen zündenden Marsch zu spielen; es erklingt vielmehr an dieser Stelle zum ersten Mal das alte deutsche Volkslied »Der Teufel als Schnitter«, welches in unserem Film noch an mehreren Stellen wiederkehrt. Die Melodie dieses besonders schönen, bei uns nur sehr wenig bekannten Volksliedes ist einfach, nicht aber simpel. In Moll gehalten, schwebt sie im ¾-Takt geradezu dahin, um am Schluß bei den Worten: »Hüt' dich, schön's Blümelein« plötzlich in den Vierertakt überzugehen. »Ihr Menschen, ihr marschiert in den Tod für eine Handvoll Ausbeuter!«

Ein anderes Element, welches bisher bei Filmen kaum Anwendung fand, wird bei uns oft eingesetzt, das Melodram, bei dem die Musik meist den Inhalt des gesprochenen Wortes versinnbildlicht. Wir versuchen u.a. auf diese Weise, der Gefahr der Eintönigkeit zu entgehen, die bei großen Dokumentarfilmen gegeben ist, wenn nur eine Stimme, mehr oder weniger monoton, den Ablauf des Filmes erklärt. Die Melodrame enthalten zwei verschiedene Sprechpartien, eine Frauenstimme (in unserem Falle Mathilde Danegger vom Deutschen Theater, dieselbe, die schon in Friedrich Wolfs und meinem Melodram »Lilo Herrmann« sprach) und Gerry Wolff von der Volksbühne. Die Sprechstimme, die nicht bloß erklärt (denn das tut ja das Bild im Film sehr eindeutig und unmißverständlich), sondern sowohl das menschliche als auch das politische Geschehen deutlich machen soll, ist meist streng rhythmisch aufgeteilt und hat die selben Schwierigkeiten wie eine Gesangspartie in einer Oper.

Diese für den Film jedenfalls ungewöhnliche Form des Melodrams wird eine Bereicherung schon insofern darstellen, als sie die Darstellung der Geschehnisse unseres eigenen Lebens auf eine künstlerische Ebene erhebt und den Genuß und das Verständnis des Gezeigten erhöht. Hinzu kommt, daß in unserem Film die musikalische Palette des Musikers alle Register spielen lassen kann. Welch dankbares Feld für einen Komponisten! Wieder einmal ein Beweis, daß uns nichts Menschliches fremd sein darf, um den Beschauer auch akustisch miterleben zu lassen, was das Filmbild mit so großer dramatischer Gewalt aussagt.


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