Transatlantische Verleih- und Produktionsstrategien eines Hollywood-Studios in den 20er und 30er Jahren
Materialien zum 13. Internationalen Filmhistorischen Kongreß, Hamburg, 
16. - 18. November 2000.

Bunte Nachrichten


Vorstoß zu Carl Laemmle.
Interview mit Ihm von Paul Morgan.


Es war nämlich gar nicht so leicht, zu ihm vorzudringen. - Das "Grand Hotel Pupp" hatte einen großen Tag. An der Portierloge staute sich die Menge. Die Halle wimmelte vor abreisenden Menschen. Schreien, Stoßen, Fragen, Rennen, Hausdiener schleppen Koffer, Rechnungen rascheln, Stubenmädchen halten geöffnete Handflächen vor sich hin. Was ist los?
An diesem Tage fiel der polnische Sloty. Fiel immer tiefer. Die "Amerikaner" verlassen infolgedessen fluchtartig Karlsbad.
Nur wenige bleiben. Darunter der einzige, der wirklich in Dollars rechnet: Carl Laemmle.
Er empfängt nicht, heißt es. Das wäre gelacht, denkt sich der Journalist in mir. Irgendwo treibe ich einen auf, der jemanden kennt, der weiß, wie sein Schwager aussieht. Der Schwager könnte eventuell ein gutes Wort beim Sekretär einlegen. Und diesen Schwager habe ich erwischt. Ich trage ihm mein Anliegen vor. "No!" ist die liebenswürdige Antwort. Ich gebe nicht nach, frage nach dem Grund. Die Familie reist in einer Viertelstunde ab und der Herr Präsident kann sich nicht konzentrieren. Ich renne den Schwager fast über den Haufen und klopfe an der Türe.
Es wird nicht "Herein" gerufen, auch nicht "Yes" oder "Please" - aber Zudringlichkeit gehört zur Rüstkammer des wahren Reporters - und da stehe ich schon vor dem Gewaltigen. Zunächst bemerke ich einen Sekretär mit dem Diktatblock in der Hand, einen ernsthaft dreinblickenden Mann mit undurchdringlichem amerikanischen Antlitz. Dann ist noch ein Bruder da mit assyrisch zugestutzem Vollbart und noch einige Herren, die mich strenge betrachten. Und noch einer ist da.
Der Her der filmenden Heerscharen hat gerade den Herrn der Haarscheren bei sich. Aber dieser kommt ihm nicht auf den Kopf, sondern liegt ihm zu Füßen: Laemmle wird gerade pedikürt.
"Good Morning, Mister President", rufe ich verwegen.
"Morning."
Sehr willkommen bin ich nicht. Der kleine bewegliche Mann, der entfernt an Hermann Picha erinnert, betrachtet mich durch große Brillen von unten nach oben.
"Herr Präsident haben eine harte Haut!"
Der Hofstaat erschauert sichtlich. Stille, Kalifornien wartet auf meine Frechheiten.
"Ich empfange nicht gern während meines Kuraufenthalts", knurrt Herr Laemmle.
"So war das nicht gemeint, Herr Präsident. Ich wollte bloß bedauernd konstatieren, daß Herr Präsident einen Operateur beschäftigen müssen, der Ihnen, wie ich sehe, die Schwielen zu entfernen genötigt ist."
(Blitzartig durchlief mich einen Hühneraugenblick lang der Gedanke, wieviel wohl von jenem unblutigen Drogisten zu erzielen wäre, wenn ich plötzlich dem Dollarmann zuriefe: Kukirolen Sie!)
Der Herr Präsident lächelte versöhnt. Die Umgebung schloß sich diesem Lächeln an. Der Pediceur verbeugte sich vor mir, erfreut, daß ich davon Notiz genommen, wie gut er sein Fußwerk verstünde. Eine zweite Verbeugung vor seinem hohen Patienten; sanft legte er dessen Füße von seinem Schoß und sagte: "Danke sehr."
"Wieviel?"
"15 Kronen, wenn ich bitten darf."
"Hier."
Ich hab's genau beobachtet: Es war eine 50-Kronen-Note. Der Mann will herausgeben.
"Lassen Sie nur."
35 Kronen Trinkgeld! Da kann man sehen.
Das Interview beginnt. "Mister Laemmle, welche Pläne haben Sie für die nächste Zeit?"
"Eine Diätkur, eine Kaltwasserkur und einen Ausflug nach Marienbad."
"Aber..."
"Ach so, Sie meinen geschäftlich? Das werde ich ausgerechnet Ihnen an die Nase binden!"
"Sie kommen demnächst nach Berlin, Herr Präsident?"
"Nein. Ich sollte wohl, aber ich komme nicht. Ich muß nach London."
"In Sachen...?"
"Also das will ich Ihnen erzählen. Passen Sie auf..."
Endlich ist aus dem Manne etwas rauszukriegen. Ich atme auf. Zücke den Bleistift. In diesem Augenblick kommt der Diener mit einem Pack Depeschen. Laemmle liest eine nach der anderen. Gibt jede stumm dem Sekretär weiter. Man hört eine Uhr ticken. Der Bruder streicht den assyrischen Bart. Ich zähle die Telegramme. 43 Stück. "Unberufen!" entfährt es meinen Lippen. Laemmle sieht auf, lächelt. Das Eis ist gebrochen. "Ja, das ist meine Vormittagspost." "43 Telegramme pro Tag?" "No. Nachmittags kommt noch ein Paket. Es sind hauptsächlich Kassenrapporte von meinen verschiedenen Unternehmungen. Man muß ja wissen, was man tagsüber hier in Karlsbad ausgeben darf." "Reicht es heute zum Mittagessen?" frage ich ängstlich. "Nicht ganz", lacht Laemmle, "denn hier" (er zeigt auf ein Radiogramm) "verlangt man einige schöne Tausender für die Vorbereitungen meines neuen Films, den ich in Paris drehen lasse. Kennen Sie übrigens den Roman von Victor Hugo: "L 'homme qui rit"?"
Ob ich den kenne! (Ich kenne bloß keinen deutschen Regisseur, dem ich nicht schon seit Jahren predige, diesen prachtvollen Stoff zu bearbeiten. Paul Wegener habe ich einmal eine Stunde lang zugeredet, sich mit diesem Buch zu befassen. Aber dieses Gespräch fand nachts bei Schwaneke statt und der gute Paul hatte damals mehr Sinn für eine Pulle Burgunder. Eine Wiener Firma hat dann den Film mit ganz unzulänglichen Mitteln verdreht und er blieb in den weitesten Kreisen unbekannt!)
"Ich suche einen geeigneten Regisseur für diesen "Lachenden Mann". Lubitsch hat keine Zeit, und ich weiß auch nicht, ob ein deutscher Regisseur in Paris nicht mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hätte, wenn ich ihn an Ort und Stelle Victor Hugo verfilmen ließe."
Es kam wieder eine Depesche. Ich schielte über die Schulter des Präsidenten. 2 Formulare waren nötig gewesen, dieses wortreiche Kabel aus Hollywood aufzunehmen. Es begann: "Lieber Herr Laemmle! (gekabelt!) Es wäre mein größtes Glück und mein innigster Wunsch, wenn Sie mir die Regie dieses von Ihnen geplanten Films ... seit Jahren sehne ich mich ... ich wäre Ihnen überaus dankbar ... etc. etc."
Diese Depesche muß Unsummen gekostet haben. Und ich las die Unterschrift. Ich verrate den Namen des um Laemmles Gunst buhlenden Mannes auf keinen Fall. Er war während seiner Berliner Tätigkeit wohl nie in die Lage gekommen, solche Worte zu finden. Worte, die sich gewissermaßen tief verbeugen. Vielleicht hat er sie damals hier gelernt von irgendeinem aus der Menge derer, die er von oben herab behandelt hatte. Ich erinnere mich noch an Stunden, die er mich seinerzeit antichambrieren ließ.
"Was halten Sie von dem Regisseur...?" und er nannte seinen Namen.
Einen Augenblick fühlte ich mich wie das Schicksal in Person. Dort drüben an Kaliforniens Küste wartet einer auf bejahenden Bescheid. So habe ich einmal in einem Wartezimmer gesessen...
Und der edle Mensch aus mir sprach: "Herr Präsident, der Mann ist einer der genialsten Regisseure, die Deutschland je gehabt hat. Man bedauert seinen Abgang unendlich, denn er hat in Berlin eine bisher unausgefüllte Lücke hinterlassen..."
Der Filmoperateur, der vor dem Hotelausgang wartete, hat Herrn Laemmle und mich für ein amerikanisches Wochenjournal gedreht. "Der Präsident der Universal Pictures Corporation wird in Carlsbad interviewt" wird der Titel lauten. Mein Name wird wohl kaum genannt werden. Wozu auch? In Amerika ist P. Morgan doch völlig unbekannt, und der eine, der drüben auch so heißt, ist genau so ein Schnorrer wie ich...

Film-Kurier, Nr. 192, 17.8.1925


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